Die FIS-Ski-Weltcup-Rennen im Schweizer Adelboden zählen zu den traditionsreichsten und populärsten überhaupt. Was Rang und Namen hat im alpinen Skisport trifft sich dort – im Premierenjahr genauso wie am 6./7. Januar 2024 zur 68. Auflage. Kaum ein Weltstar, der am Chuenlisbärgli nicht auf dem Treppchen stand. Doch nur zwei Deutsche gewannen den Riesenslalom. Der erste heißt Eberhard Riedel; der Oberwiesenthaler siegte 1961 sensationell. Nie wieder gelang einem DDR-Alpinen Platz eins bei einem Weltcup, damals FIS-A-Rennen genannt. Und es sollte 53 Jahre dauern, ehe mit dem Bayern Felix Neureuther wieder ein Deutscher den Pokal von Adelboden holte.
Der „Riedel-Ebs” ist heute 85, lebt mit seiner Frau Hannelore in der Stadt am Fichtelberg und freut sich, dass seine Erfolge hier lebendig bleiben. Im Wiesenthaler K3, dem Museum für Wintersport und Stadtgeschichte, wird davon erzählt, sind Pokale und Skier ausgestellt. Olaf Seifert traf sich dort mit ihm. Leider, nicht alles Spannende, was der gebürtige Lauterer dabei zu erzählen wusste, kann im folgenden Interview Platz finden.
Eberhard, wie fandest Du auf die „Bratteln”?
Beizeiten. Ich bin Jahrgang ’38 und in Lauter spielten wir Kinder jeden Tag Fußball. Barfuß und mit der „Flackl-Pflaum”, einer Kugel aus Stoffflecken, denn Lederbälle gab es nicht. Sobald Schnee lag ging es auf die „Bratter”. Ich begann Skispringen zu trainieren, unsere Schanze bauten wir selber und meine erste Urkunde hat heute einen Ehrenplatz daheim. Vater Fritz war im Krieg und als er heimkam, fand er zwei Jahre lang keine Arbeit. Mit Baumstümpf’ ausgraben verdiente er das Nötigste für die Familie und ich half, so gut ich „klaaner Gung” das vermochte. 1947 zogen wir nach Dresden, wo Vater beim Landessportausschuss arbeitete. Im Winter fuhr ich mit dem Zug hoch nach Altenberg und Geising. Drei Paar Ski besaß ich für die Viererkombination aus Abfahrt und Slalom, Langlauf und Sprung. Mit 13, 14 war ich in Sachsen vorn dabei. Als Vater 1952 die Leitung der Sportschule in Oberwiesenthal übernahm, wurde Joachim Loos mein Trainer, dem ich viel verdanke. Ich wurde allseitig ausgebildet, war mehrfacher DDR-Jugendmeister und reiste nach Zakopane, wo wir O’thaler Jungs mit den polnischen Altersgefährten übten. Dort erwarb ich meine Grundlagen und entschied mich endgültig für den alpinen Skisport. 1957 wurde ich in den Nationalkader berufen. Nur mein Berufswunsch erfüllte sich nicht, ich wollte Förster lernen, doch das ließ sich mit dem Leistungssport nicht vereinbaren.
An welche Erfolge und Episoden erinnerst Du Dich besonders gern?
Vor allem daran, dass wir als DDR-Nationalteam wunderbar harmonierten und einer dem andern half. Es war ein Septett mit Karl Süß, Rochus Wagner, Klaus Illing, Peter und Werner Lützendorf, Ernst Scherzer und mir. Außer Rochus, der aus dem Zittauer Gebirge stammte, kamen alle aus dem Erzgebirge.
Gleich beim ersten Lauf im österreichischen Bad Gastein stürzte ich schwer, trotzdem trat ich tags darauf an. Schier aussichtslos auf Rang 98 gestartet, kam ich unter die Top-30 und erhielt dafür nagelneue Kneissl-Ski. 1958 folgten die Weltmeisterschaften in Bad Gastein und die FIS-Weltcups in Kitzbühel und im Schweizer Wengen. Ein Jahr später dann der bis dahin größte Erfolg: Bei FIS-Rennen in Zakopane gewann ich Riesenslalom und Kombination.
Eine Empfehlung für die Olympischen Winterspielen 1960 in Squaw Valley?
Sicherlich, zumal ich in Wengen (6. in der Abfahrt, 8. in der Kombination) und Kitzbühel (11.) die Fahrkarte quasi gelöst hatte. Doch zum Cup nach Val-d’Isère durfte ich als DDR-Sportler nicht reisen, weil Frankreich ein NATO-Land war. Wir Ostsportler mussten damals, vor dem Mauerbau, nach Westberlin fahren und ob wir dort Pässe bekamen, war jedes Mal eine Wundertüte.
Ernst Scherzer und ich jedenfalls bekamen zwar Plätze in der damals noch gemeinsamen deutschen Mannschaft für Squaw Valley. Ich startete in den USA aber nur in der Abfahrt, erkämpfte als viertbester Deutscher Platz 16. Trainer Joachim Loos freilich erhielt kein Visum. Es war eine brutale Auseinandersetzung damals zwischen den Verbänden der BRD und DDR, leider häufig auch zwischen den Aktiven. Umso lieber erinnere ich mich an positive Beispiele für Anstand. So gratulierte mir der bundesdeutsche Teamkollege Fritz Wagnerberger zum Abschneiden in Squaw Valley. Auch Sepp Bär, der damals eine gute Verbindung zu Trainer Loos hielt, spielte die politischen Querelen nicht mit.
Foto: Archiv Riedel
Wie habt Ihr Euch auf internationale Alpinwettkämpfe vorbereitet
Wenn Schnee lag in Oberwiesenthal. Ich meine, der Slalomhang am Fichtelberg zählt zu den schönsten, die es in Europa gibt. Wenn die Seilbahn nicht ging, stiegen wir mit den Brettern auf dem Buckel die ganze Piste rauf, dreimal vor- und dreimal nachmittags. Wir trainierten regelmäßig in Zakopane, aber auch am Arlberg in Österreich.
Wann warst Du zum ersten Mal in Adelboden am Start?
1960, aber ich fuhr nur den Slalom und kam unter die ersten zehn. Tags darauf mussten wir auf Anweisung aus Ostberlin abreisen, weil die Schweizer Veranstalter die DDR-Fahne nicht hissen wollten. Umso motivierter waren wir ein Jahr später für Adelboden.
Erzähl’ vom FIS-Rennen im Januar ’61.
Beim Auftaktslalom in Adelboden schafften Werner Lützendorf, Ernst Scherzer und ich die Ränge sechs bis vier. Meine Hoffnung wuchs, als ich nachts um eins aufs Thermometer schaute. Minus zwei Grad, die Strecke musste frisch gefroren sein und auf Eis war ich gut.
Ich feilte und präparierte meine Skier exakter denn je.
Als der große Rivale Willi Forrer nur Zweitbester in seiner
Schweizer Gruppe war, ahnte ich, dass ich es packen könnte.
Ich gewann am Chuenlisbärgli und der Junge-Welt-Journalist
Hans-Georg Vollbrecht schrieb danach über das „Wunder vom Fichtelberg”.
Es folgten FIS- und WM-Rennen sowie die Olympia-Teilnahmen 1964 in Innsbruck und 1968 in Grenoble. Was waren Höhepunkte aus Deiner Warte?
Vornweg der Sieg im Riesenslalom und in der Kombination in Kranjska Gora in Slowenien. Kein Deutscher hat das dort wieder geschafft, bis heute nicht. Ich sag’ gern, das war meine Goldmedaille.
Zudem gelangen mir zahlreiche vordere Plätze, so in Saalfelden, Maribor und Mayrhofen Rang eins im Riesenslalom sowie bei den Rennen in Saalbach und in Zell am See jeweils der Gewinn der Kombination. Nicht zu vergessen die elf DDR-Meistertitel. Bei Olympia 1964 in Innsbruck war ich 15. im Riesenslalom und 18. im Slalom. Bei den Winterspielen 1968 in Grenoble gelang die beste olympische Platzierung, ich wurde 13. im Slalom. Aber freuen konnte ich mich darüber nicht.
Warum nicht?
In jenem Jahr beschloss der DDR-Verband DSLV den Rückzug aus dem Weltcup, Grenoble war der letzte Auftritt unserer Alpinen auf großer Bühne. Vier Wochen vor den Spielen, bei denen die DDR erstmals mit einer eigenständigen Mannschaft antrat, erfuhr ich, dass wir aufhören mussten. Die Ressourcen sollten auf andere Disziplinen konzentriert werden: Springen, Rodeln, Bob, Eislauf zum Beispiel. Doch vielleicht gab es noch die Chance, wenn DDR-Fahrer herausragend abschneiden würden…? Bei der vorolympischen Generalprobe war ich zweimal Vierter gewesen. Ersatzmann Ernst Scherzer sagte zu mir: „Ebs, Du fährst für die Zukunft des alpinen Skisports in der DDR!”
Wie ist es gelaufen?
Beim Abfahrtslauf war ich zur Hälfte der Strecke mit zweitbester Zeit gut unterwegs. Doch auf schlechter Piste stürzte ich. Da half auch der respektable Platz 13 im Slalom nicht. Mit dem alpinen Leistungssport war es vorbei in der DDR.
Die Konsequenzen für Dich?
Ich studierte Sportlehrer an der DHfK in Leipzig. Die Diplomarbeit schrieb ich nicht in meinem Metier, sondern zum Thema Skispringen, bestand sie mit Auszeichnung. Später arbeitete ich beim Feriendienst in Oberwiesenthal als Skilehrer, organisierte Sportfeste und arbeitete von 1974 bis 1979 als Athletiktrainer beim Oberligisten BSG-Wismut Aue. Ein Novum damals im DDR-Fußball.
Wie kam es dazu?
Trainer „Binges” Müller fragte mich. Warum nicht? Fußball hatte ich selber gespielt, 1957 bis 1965 in der Kreisklasse. Es dauerte eine Weile, bis mich die Wismut-Kicker akzeptierten. Wir trainierten sehr vielseitig und hart, nach Methoden, wie ich sie aus dem Wintersport kannte. Das passte manchem nicht, es wurde einige Male Schuhcreme an meinen Spind geschmiert und protestiert:
„Mit uns net!” Doch nach und nach zeigte sich, dass es was bringt.
Es ging auch im Fußball nicht mehr anders.
Ab 1980 setzte ich die Trainerarbeit dann in Oberwiesenthal fort. Zunächst beim Nachwuchs des SC Traktor, wo ich mich über das Spartakiadegold meiner Schützlinge Mirko Gutte und Peter Grundig freute. Dann im Männerbereich, als ich half, Springer wie Jens Weißflog, Andreas Auerswald, Ulf Findeisen oder Kerst Rölz zu entwickeln. Ab 2000 bis zur Rente 2003 war ich Kindertrainer beim ASC Oberwiesenthal, auch das war eine sehr schöne Zeit.
Nach der Wende hast Du Dich beruflich neu orientiert?
Völlig neu, ich war neun Jahre lang Fachberater für Eigenheime in Stollberg. Ich musste mich in ein Metier einarbeiten, das ich nicht kannte, doch ich habe bewiesen, dass ich es kann.
Wie geht es Dir heute, mit 85?
Ich bin dankbar, gesund zu sein und mit meiner Hannelore in Oberwiesenthal zu wohnen. Mit Haus und Garten haben wir gut zu tun. Meine Frau war 19mal DDR-Meisterin in alpinen Disziplinen und ist mit mir durch dick und dünn gegangen. Stolz sind wir auf unsere Jungs. Olaf, der ältere, ist Zahnarzt, und Peter führt ein erfolgreiches Metallbauunternehmen in Raschau-Markersbach. Die Peter Riedel GmbH rüstet Skischanzen in aller Welt aus. 2006 war ich in Adelboden eingeladen, zum fünfzigjährigen Jubiläum der Weltcup-Rennen. Sepp Bär aus dem Allgäu und ich haben einen Pokal übergeben als Dank an die Schweizer, die den Grundstein für den modernen Weltcup legten. Ich freue mich, dass die Erinnerung an die DDR-Starter vor über 60 Jahren dort nicht vergessen ist.